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DAS NEUMARKTER WUNDER
Dass in einem Kammermusiksaal einer mittelgroßen Stadt in Bayern die bedeutendsten Klassikstars der Welt auftreten, muss seine Gründe haben. Fragt man nach, fallen die üblichen Schlagworte: Privatinitiative, Chuzpe, die oft auch kumpelhafte Nähe des jeder-kennt-hier-jeden, im konkreten Fall ergänzt um das unverhoffte Glück einer genialen Akustik. Der schlicht mit »Neumarkt« betitelte Bildband des Ostkreuz- Fotografen Frank Schinski versucht diesem mittlerweile 40 Jahre andauernden »Neumarkter Wunder« fotografisch auf die Spur zu kommen. Dazu greift der Künstler die Nähe zwischen den Protagonisten auf und folgt ihnen durch den Alltag: schwerpunktmäßig den berühmten Musikern und Musikerinnen, denen er quer durch Europa bis in ihre Wohnungen nachfährt und, wenn es sein muss, auch schon mal in einen drei Grad kalten See nachsteigt. Auf diese Weise entstanden Aufnahmen jenseits der oft anzutreffenden PR-Ästhetik. Schinski fotografierte weiter, auch die Neumarkter Mitarbeiter und Abonnenten, schließlich den Stifter selbst, einen ansässigen Unternehmer. Es ist diese Mischung aus Kunstliebe, Glück und Mäzenatentum, die Provinzen kulturell zum Blühen bringt, auch heute noch. Sie findet sich in Varianten in vielen deutschen Gemeinden wieder und trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass Deutschland die größte Dichte an Klassikfestivals beherbergt. Schinskis Fotos untersuchen dieses Phänomen am Konkreten, indem sie eine Brücke ziehen zwischen dem fahrenden Volk der Musiker und etwas, was man soziologisch mit »Standortfaktor« auf den Punkt bringt. Alle Fotos kreisen um ein Unsichtbares, die Musik, denn auf Konzertbilder, wie man sie sonst zu sehen kriegt, verzichtete Schinski bewusst. Er konzentrierte sich ausschließlich auf Porträts.
NEUMARKT | VÖ-Termin: 1. August 2022 Kerber Verlag | 65,00 € 84,50 CHF | ISBN 978-3-7356-0845-1 Deutsch | ISBN 978-3-7356-0846-8 Englisch | 24 × 32 cm 304 Seiten, inkl. 32 verkürzten Seiten | 175 farbige Abbildungen | Hardcover
DER FOTOGRAF - Der Menschendokumentarist Frank Schinski
Eine Maurerlehre ist die perfekte Vorbereitung für eine Fotografenkarriere. Könnte man jedenfalls denken, wenn man die Bilder vom OSTKREUZ-Fotografen Frank Schinski (*1975 in Prenzlau) betrachtet. Es gibt wenige Fotografen, die mit einer solchen Präzision arbeiten – und das auf räumlicher sowie auf zeitlicher Ebene. Viele seiner Bilder hätten nicht eine Millisekunde früher oder später fotografiert werden können. Jedes Körnchen sitzt da, wo er es haben möchte. Deswegen strahlen seine Bilder eine Perfektion aus, die fast inszeniert wirkt. Aber bei Frank Schinski ist nichts gestellt. Er sieht sich vielmehr als visueller Soziologe, der gesellschaftliche Phänomene neutral betrachtet und in Bilder fasst. In seiner Serie »Vom Aufhören« begleitet er Menschen an einem der wichtigsten Tage in ihrem Leben: dem letzten Arbeitstag. »Das Weltgericht« zeigt die ausgefeilten Rituale des ICC, einer Institution, die Recht spricht für einen ganzen Planeten. Frank Schinski beobachtet Menschen präzise, mit ihren Ecken und Kanten, mit ihrer Aura, die auf ein Leben verweist, auf ihre Arbeit, ihren Rang, im konkreten Fall oft: auf ihren besonderen Zugang zur Musik. Die Porträts für »Neumarkt«, derentwegen sich Schinski auf den Weg machte, arbeiten allzu Menschliches heraus aus Personen, die ansonsten in wichtigen Momenten ihres Lebens hinter die Kunst zurücktreten – ob musizierend auf Bühnen, unterstützend im Hintergrund oder hochkonzentriert im Zuschauerraum. Der traditionelle Anspruch an Fotografie, dass wichtige Dinge festgehalten werden müssen, ist bei Schinski umgekehrt. Weil Dinge fotografiert werden, bekommen sie Bedeutung. Indem der Künstler seine Kamera auf Nebensächlichkeiten hält, nähert er sich dem Kern jeder Bildkunst: dem Unsichtbaren. Seine Maurerkarriere hat Frank Schinski Ende der 90er Jahre an den Nagel gehängt, um an der FH Hannover Fotografie zu studieren. Im Jahr 2009 wurde er Mitglied bei OSTKREUZ. Er ist regelmäßig in Ausstellungen zu sehen, arbeitet für internationale Magazine und Wirtschaftsunternehmen. Seine Arbeiten werden regelmäßig ausgestellt wie zuletzt »Richtige Einstellung« in der Akademie der Künste Berlin. (www.frankschinski.de)
DIE TEXTE - Die Fotostrecken werden ergänzt durch Essays namhafter Autoren.
In Schumanns Wohnzimmer. Texte zum Saal, Konzertreihe und deren Begründer Ernst-Herbert Pfleiderer.
Ein Weltklasseprogramm mit klassischer Musik in der Provinz. Nicht untypisch im deutschsprachigen Kulturraum, das über zahlreiche hochkarätige Festivals verfügt. Die Gründe dafür findet Dariusz Szymanski in der Romantik. Anhand eines Klavierquartetts von Robert Schumann verbindet der Autor die Idee der deutschen Kammermusik mit der Stadt Neumarkt, dem Kammermusiksaal, dem Festival und dem Gründer der Konzertreihe, dem Unternehmer Ernst-Herbert Pfleiderer. In einem weiteren Text vornehmlich über die Wiener Klassiker wird Pfleiderers Programmwahl der letzten 40 Jahre thematisiert.
Vom Zauber des Vergänglichen. Musiktexte im Fotoband »NEUMARKT«.
Uninszenierte Alltagsporträts anstatt Konzertfotos? Das fotografische Konzept vollzieht nach, dass es im Kern um etwas Flüchtiges geht: die Musik. Nicht als objektiver Notentext, sondern als konkretes Klangereignis, dargeboten von Menschen im Konzertsaal. Dass dieser hier über eine fantastische Akustik verfügt, hat das »Neumarkter Wunder« ins Rollen gebracht. Deshalb wenden sich ergänzende Essays von Dariusz Szymanski (Redakteur und Dozent am Festspielhaus Baden-Baden) und Prof. Peter Gülke dem Klang im Raum zu. Das Entstehen und Vergehen von Musik aufgefächert in Texten zur Interpretation, Stille, Rauschen und Lärm.
DIE AUTOREN
SIR ANDRÁS SCHIFF Pianist, Dirigent und Musikpädagoge
Sir András Schiff tritt mit den meisten international bedeutenden Orchestern und Dirigenten auf. Einen Schwerpunkt setzt er auf die Aufführung der Klavierkonzerte von Bach, Mozart und Beethoven unter eigener Leitung. Im März 2017 erschien im Bärenreiter und Henschel-Verlag sein Buch »Musik kommt aus der Stille« mit Essays und Gesprächen mit Martin Meyer. Über 50 Mal war Sir András Schiff bereits in Neumarkt zu erleben. Das erste Mal im Jahr 1986.
DARIUSZ SZYMANSKI Autor und Dozent
Dariusz Szymanski 1970 in Polen geboren gilt als »Der Klassikerklärer« (SWR2) und wird regelmäßig gebucht, um die unterschiedlichsten Menschen für klassische Musik zu gewinnen. Seit über 20 Jahren führt er das Publikum in Klassikveranstaltungen am Festspielhaus Baden-Baden ein. Der Redakteur und Dozent ist regelmäßiger Gast bei Rundfunksendungen. Auf seinem YouTube-Kanal »Klassik unfrisiert« vergleicht er Straussʼ Ästhetik mit einer Achterbahn, erläutert Mahlers Sinfonien anhand schwarz-weiß Filmen der Dreißiger und redet übers Wetter, um musikalische Rhetorik zu erklären. Anlässlich der Osterfestspiele mit den Berliner Philharmonikern öffnete man für seine Vorträge eigens eine Vormittagslounge, die unter Besuchern Kultstatus genießt.
PETER GÜLKE Professor an der Universität Basel, Dirigent und Musikschriftsteller
Peter Gülke, geboren 1934 in Weimar, ist Dirigent und einer der führenden Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller. Er war u.a. Generalmusikdirektor in Weimar und Wuppertal und Professor im Fachgebiet Dirigieren in Freiburg im Breisgau. Derzeit ist er Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker. Gülke ist außerdem Autor zahlreicher Bücher, beispielsweise über Rousseau, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner und Dufay. Für sein Schaffen wurde Gülke u.a. 1994 mit dem Sigmund-Freud-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung, 1998 mit dem Karl-Vossler-Preis, 2004 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Bern und 2014 mit dem Siemens-Musikpreis ausgezeichnet. Außerdem ist er Träger des Bundesverdienstkreuzes.
DIE FOTOS - Weltstars der klassischen Musik in privaten Momenten
Die Ursprungsidee war einfach deren Umsetzung sollte sich als sehr aufwendig herausstellen: Es ging darum weltberühmte Musiker, die seit Jahren im Historischen Reitstadel in Neumarkt auftreten, in privaten Momenten zu fotografieren. Die Schwierigkeit? Jeder Star schützt sich selbst oder wird geschützt – durch sein Image und seine Agentur. So kreisen Hochglanz-PR-Bilder zwischen Konzerthäusern und Verlagen, hinter denen sich die Dargestellten verstecken dürfen, um ihre Kunst zu machen. Ein sinnvolles wie problematisches System. Nach zahlreichen, teilweise langwierigen Vorgesprächen gelang es schließlich, an die Menschen hinter dem Image heranzukommen. Die Künstler ließen zu, dass man sie privat fotografiert: kurz vor dem Auftritt, zu Hause oder auf Tournee, ob in Helsinki, Paris oder Wien.
https://www.hr2.de/podcasts/die-fotos-sind-ja-gar-nicht-fuer-mich-entsta...