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Interview András Schiff

Uwe Mitsching im Gespräch mit András Schiff

"Was ich als Dirigent mache, ist eine Erweiterung des Kammermusikalischen.."


Ausgehend von der Gesamtaufführung aller Klavierkonzerte, die Sie nun schon einige Jahre in Salzburg präsentieren, steht auch bei den Festivals in Vicenza und Neumarkt Mozart im Mittelpunkt. Wo sehen Sie den Kontext zu den anderen Komponisten, die darum herum gruppiert sind, ganz besonders natürlich zu Dvorák und Janácèk. Warum sind die im Programm?

Sie sind im Programm, weil ich sie sehr schätze. Ich wollte ein Programm machen mit Mozart im Mittelpunkt, aber auch mit Musik vor Mozart - etwa Haydn und Bach -, aber auch mit dem, was nachher kommt. Ich träume sehr von Prag und Budapest in Verbindung mit Wien. Vielleicht kann man das wieder aufbauen, vor allem kulturell.

 

Als Sie hier mit dem Panocha Quartett aus Prag gespielt haben, war doch sehr deutlich ein Hauch von K. u. k. zu hören.

Ja, das ist sehr K. u. k.: ein starkes Europa.

 

Wie kann man sich eigentlich so einen Prozess der Programmfindung und Programmgestaltung vorstellen? Es gibt jetzt vier Konzerte an drei Tagen: Entscheiden Sie die Programme autonom, entscheiden dies Ihre Freunde oder die Plattenfirma?

Programme zu machen ist eine Lieblingsbeschäftigung für mich, nicht nur das Musizieren. Ich mache leidenschaftlich gerne Programme - auch hier mit meinem lieben Freund Ernst-Herbert Pfleiderer. Wir haben das zusammen besprochen: Es soll keine Kopie von dem Salzburger Programm sein. Immer mehr möchte ich die Cappella Andrea Barca so präsentieren, dass sie sich in solistischen und kammermusikalischen Formationen beweisen kann. Das kann man eben bei sehr wenigen Orchestern machen.


Inwieweit sind Sie da für Ratschläge oder Kompromisse offen?

Es gibt keine Kompromisse; ich mache einfach die Programme. Es ist mir noch nie passiert, dass jemand vom Orchester sagt, das gefällt uns nicht. Ich frage die Kollegen, ob sie Lust haben, das und das mit mir oder mit anderen zu spielen. Da können sie sagen: "Nein das lieber nicht", aber dies ist noch nie passiert.


Wir haben vor kurzem diese beiden Konzerte aus dem Zyklus "Chopin und seine Vorbilder" hier in Neumarkt gehört: Wie suchen Sie aus 555 Scarlatti-Sonaten ausgerechnet die wenigen aus, die Sie dann spielen?

Ja, das ist eine gute Frage. Das ist ein Beispiel, wie ich Programme mache. Zuerst muss man Scarlatti sehr gründlich kennen. Ich sage nicht, dass ich jetzt alle 555 Sonaten von Scarlatti kenne, aber ich habe ehrlich alle mal durchgespielt. Ich habe zu Hause die Faksimile-Ausgaben von Scarlatti, 18 Bände sind das, und ich habe in meinem Leben schon sehr, sehr viele davon gespielt und nicht nur die bekannten Stücke. Ralph Kirkpatrick hat entdeckt, dass Scarlatti diese Sonaten meistens paarweise komponiert hat, und ich wundere mich sehr oft über die Pianisten, die Scarlatti spielen. Sie spielen immer dieselben drei, vier Sonaten und die einzeln; sie ignorieren die musikwissenschaftliche Entdeckung von Kirkpatrick, dass sie wirklich in Paaren zusammengehören, wie die Bach-Präludien und -Fugen etwa. Ich denke sehr an die Tonarten, es gibt einen Aufbau von Tonarten bei mir, weil ich finde, dass es sehr wichtig fürs Publikum ist, auch wenn es kein absolutes Gehör hat oder nicht bewusst daran denkt. Aber es ist sehr schön, z. B. Paralleltonarten nebeneinander zu hören. Wie hat Mozart oder Beethoven es in einer Sinfonie gemacht? Da kommt der erste Satz in der Haupttonart, dann der zweite Satz in der Paralleltonart oder auf der Dominanten oder Subdominaten; es ist immer eine Relation da. Ich habe also einfach immer sechs Scarlatti-Sonaten pro Programm genommen und immer Tonartenrelationen gesucht, die wieder zu den Bach-, Mozart-, Chopinstücken passten, die auch im Programm waren. Dies ist so eine Programmkomposition.


Wieviel Zeit Ihrer Tätigkeit nimmt es in Anspruch, sich solche Programme zu überlegen?

Viel, aber manchmal kann ich das auch während eines Spaziergangs machen. Aber mit Scarlatti, da muss ich in meinem Musikzimmer sitzen. Da brauche ich z. B. zwei Sonaten in Es-Dur. In einem Katalog stehen alle Sonaten von Scarlatti, die in Es-Dur sind. Diese spiele ich dann durch und sehe, welche mir am besten gefällt.

 

Herr Schiff, Mozart ist nun der Mittelpunkt dieses Festivals und Sie selbst. Aber um Sie herum gruppiert ist diese ja ganz erstaunliche Cappella und sind die anderen Solisten. Nach welchen Prinzipien haben Sie die Musiker ausgewählt, und wie steht es mit der Fluktuation in diesem Orchester? Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Auffassungen um - und fühlen Sie sich als der Boss?

Erstens, Boss bin ich gar nicht, das passt überhaupt nicht zu mir. Ich bin auch nur Musiker. Ich bilde mir nicht ein, dass ich ein Dirigent bin. Ich dirigiere liebend gerne Musik, die mich sehr interessiert; aber man wird mich nie als Wagner- oder Mahler- oder Richard-Strauss-Dirigent erleben, weil mich das nicht sehr interessiert, das könnte ich nie tun. Sehr viele können dies tun, viel besser als ich. Was ich als Dirigent mache, ist eine Erweiterung des Kammermusikalischen. Also diese Cappella ist ein Kammermusikensemble aus exzellenten Solisten, aber vor allem Kammermusikern. Es sind sehr viele Streichquartettspieler in diesem Orchester und für mich ist ein Streichquartett das Non plus ultra vom Musizieren.

 

Würden Sie in die Cappella jemanden aufnehmen, den Sie zwar musikalisch bewundern, aber persönlich nicht mögen?

Nein, das ist der Punkt: das Musikalische ist sehr, sehr wichtig, aber mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, ist das Menschliche, das Persönliche. Dieses Ensemble basiert auf gegenseitiger Sympathie, Verständnis, Gleichgestimmtheit, gleichen Idealen, ästhetisch, musikalisch und menschlich. Also da gibt es wirklich keinen Platz für das Egoistische.

 

Gibt es eine Fluktuation?

Es gibt sehr wenig Fluktuation; niemand geht weg. Aber die Sache ist die, dass alle diese Leute sehr beschäftigt sind. Wir treffen uns sehr selten, eigentlich nur zweimal im Jahr, aber ich muss denen die Termine schon Jahre im Voraus geben, weil sie sind als Streichquartette und auch als Professoren an verschiedenen Hochschulen tätig und sie kommen sehr schwer weg. Und manchmal möchte ich bei so einer Gelegenheit auch anderen eine Chance geben. Aber die Hauptpositionen, Stimmführer und Bläser, das ist ziemlich fest geblieben. Ich möchte wirklich, dass z.B. Radovan Vlatkovic, der der weltbeste Hornist ist, immer spielt, und ich bin sehr froh, dass er jetzt in Neumarkt dabei ist.

 

Oft nennen Musiker, mit denen Sie arbeiten, als künstlerischen Bezugspunkt Sándor Végh und dessen Sommerkurse im südenglischen Prussia Cove. Welche Rolle haben Sándor Végh und Prussia Cove in Ihrem Leben gespielt?

Eine enorme Rolle. Sándor Végh hat wirklich sehr viel damit zu tun, als Katalysator, als Mittelpunkt. Ich habe ihn früh in meinem Leben kennengelernt, da war ich noch Schüler. Ich habe ihn in England unterrichten und spielen gehört und ich war völlig hingerissen. Später als ich Ungarn verlassen habe, 1979, da kam ich wieder in Kontakt mit Sandor Végh und zwar so, dass wir dort in Prussia Cove das Brahms-Klavierquintett spielten. Er war eine ganz andere Generation als ich, Jahrgang 1912, aber er hat in der gleichen Schule studiert, an der Franz-Liszt-Akademie in Budapest, und es war etwas Unbeschreibliches, wie wir zusammen geatmet, zusammen gefühlt haben. Was für mich ein Kriterium ist für gutes Musizieren mit anderen Menschen: über wesentliche Sachen in der Musik soll man nicht viel reden. Das war wunderbar bei Végh. Ich habe Sandor Végh so bewundert, dieser Mann hatte eine unbeschreibliche musikalische Phantasie; und auch Mut. In der Gesellschaft muss ein Mensch Zivilcourage haben, in der Musik muss man auch Courage haben. Man muss sagen: Ich bin davon überzeugt, dass dieses Stück so und so geht! Und dann habe ich mit Végh sehr viel Kammermusik gespielt. Beethoven-Sonaten usw. Dann hat er leider aufgehört zu geigen, aber dafür immer mehr dirigiert. Er hat die Camerata Academica von Salzburg übernommen, mit der haben wir alle Mozartklavierkonzerte aufgeführt und damals waren wir - vor vielen Jahren - auch hier in Neumarkt. Zunächst war diese Camerata ein Streicherensemble, sie hatten keine festen Bläser. Wenn man Bläser brauchte, dann spielten Leute aus Salzburg und es tut mir leid zu sagen, aber das hat mich nicht ganz befriedigt. Végh war ein phantastischer Lehrer, und in der Camerata spielte seine gesamte Geigenklasse. Aber die anderen Instrumente waren nicht seine Schüler.

 

Und woher hatten Sie dann die Bläser nach Ihrem Gusto?

Da kam meine andere grosse Freundschaft, die zu Heinz Holliger zu Hilfe. Ich bin einfach zu Holliger gegangen und sagte: "Du, wir nehmen die Mozartkonzerte auf mit Végh. Würdest Du da mitspielen und würdest Du bitte eine Bläsermannschaft organisieren." Er sagte: "Ja, liebend gern. Wir lieben diese Musik und wir kommen nie dazu, sie zu spielen." Alles hat eigentlich Heinz Holliger für uns organisiert, mit Aurèle Nicolet, mit Klaus Thunemann, mit dem damals sehr jungen Vlatkovic, so kam das zusammen. Was ich jetzt versuche zu machen, ist sehr nach diesem Modell. Leider lebt Sándor Végh nicht mehr, aber wir musizieren nostalgisch auf seine Art. In der Cappella Andrea Barca, auch unter den Geigen, gibt es tatsächlich sehr viele Végh-Schüler.

 

In Interviews mit den Musikern der Cappella werden auch Sie oft als Bezugsperson, als Vorbild genannt. Ich weiss nicht, ob Ihnen dies lieb ist oder peinlich. Aber ausser Sandor Végh, wer sind für Sie denn die andere Bezugspersonen gewesen bei Ihrer musikalischen Karriere?

Das ist nicht peinlich, das ist sehr lieb, und ich freue mich und hoffe, dass die Musiker das nicht aus purer Höflichkeit gesagt haben. Vorbilder für mich sind viele gewesen: Ich habe immer Pablo Casals sehr bewundert, leider nie wirklich erlebt. Aber Casals hat sehr viel mit Végh gespielt. Ich kam durch Végh zu Casals: Wieder dieses unglaubliche, natürliche, rhythmische, vitale und gesunde Musizieren. Beide kommen aus ländlichem Umfeld. Casals sagt ja, er sei ein Bauer, ein Contadino, und Végh hatte auch das Rustikale. Vielleicht weil er mit Bartók so viel zu tun hatte, immer wieder die Beziehung zu Folklore und Volksmusik. Das hat mich sehr fasziniert.

 

Als ich Sie mit dem Panocha Quartett, ganz besonders auch mit Miklós Perényi, spielen gehört habe, ist mir diese ganz erstaunliche Affinität zwischen Ihnen aufgefallen. Gibt es da so einen gemeinsamen Nährboden, liegt der in Ungarn, liegt der im alten Kaiserreich Österreich-Ungarn?

Der Boden ist das: Ungarn hat eine sehr gute musikalische Ausbildung, und vor allem in meiner Zeit oder vor meiner Zeit, da war da ein sehr grosser Meister namens Leo Weiner. Dieser Leo Weiner war ein grossartiger Komponist und er hat jahrzehntelang an der Akademie in Budapest ausschliesslich Kammermusik unterrichtet. Wenn Sie Georg Solti oder Antal Dorati oder Sándor Végh, wenn Sie die gefragt hätten: "Wer war der wichtigste Einfluss in Ihrem Leben?", sie hätten einstimmig Leo Weiner gesagt. Ich habe nicht mehr mit ihm studiert, aber eben bei György Kurtág, und der war wiederum Schüler von Leo Weiner. Dessen kammermusikalisches Erbe war bei mir immer da, seit ich angefangen habe, Kammermusik zu spielen, mit 7 oder 8 Jahren. Ich finde, dass z.B. die russischen Virtuosen phantastisch ihre Instrumente spielen, aber sie sind ausgebildet von Virtuosen, um Wettbewerbe zu gewinnen und dann plötzlich kommen sie zur Kammermusik. Aber sie sind nicht darauf vorbereitet. Ich glaube, wenn man Kammermusik nicht mit der Muttermilch zu sich aufgenommen hat, das kann man nicht lernen. Aber auch wenn man das in sich hat, muss man wirklich sehr aufpassen, mit wem man Kammermusik spielt. Es geht nicht mit allen. Es können exzellente Musiker sein, aber wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen, dann geht das nicht. Es ist eine gewisse Chemie, und eben mit Perényi oder mit Panocha oder der Cappella, da stimmt die Chemie und darauf achte ich sehr.

 

Und das gibt ja auch ganz erstaunliche Ergebnisse. Ist es denn jetzt in Ungarn auch noch so, dass dieses System so gute Leute hervorbringt?

Leider viel weniger. Ich finde, das ist leider nicht mehr so gut. Leo Weiner lebt nicht mehr, Kurtág lebt in Frankreich, Ferenc Rados, mein anderer Lehrer, ein exzellenter Musiker unterrichtet nicht mehr an der Hochschule. Diese zwei, drei massgeblichen Persönlichkeiten waren sehr, sehr wichtig.

 

Ich habe eine alte Aufnahme von Hungaroton mit Scarlatti, wo Sie als ganz junger Mann auf dem Cover sind. Ich kann mich an viele Jahre Ihres Bachspiels erinnern. Ordnen Sie die Musik, die Sie schwerpunktmässig gespielt haben, bestimmten Lebensabschnitten zu?

Ja und nein, also die Kammermusik war immer da und das wird auch immer so bleiben, solange ich lebe und spielen kann. Bach war auch immer da und ist absolut zentral. Ich habe als Kind systematisch das Bachsche Lebenswerk aufgebaut. Ich spiele jeden Tag meines Lebens Bach. Aber z.B. wenn ich jetzt zu Beethoven komme, das habe sehr bewusst aufgebaut, damit habe ich gewartet. Es kommt jetzt in meinem Leben die Beethovensche Phase. Ich wollte bis zu meinem 50. Lebensjahr warten, bis ich die Beethoven-Sonaten spiele. Beethoven hat ja sehr verschiedene Lebensphasen, er hat natürlich die Jugendwerke, die so explosiv sind, dann diese kämpferische mittlere Periode, dann diese verklärten, metaphysischen späten Sachen. Das alles ist so philosophisch und so komplex, dass ich gedacht habe, ich kann das als junger Mensch nicht verstehen und ich bin sehr froh, dass ich damit bis jetzt gewartet habe. Aber die anderen Mittelpunkte in meinem Leben, etwa Haydn, Mozart oder Schubert, die waren immer da und sie bleiben. Und dann gibt es so Stücke, die ich als junger Mensch viel spielte, wie Tschaikowskys b-Moll- Klavierkonzert, und ich glaube, das werde ich nicht mehr spielen, nicht weil ich es nicht mag, aber es ist mir jetzt nicht mehr so wichtig. Manches kann man nur als junger Mensch spielen - wirklich, und manches nicht.

 

Könnten Sie sich vorstellen, dass nach Beethoven irgendein anderer Komponist kommt, den Sie sich noch aufheben für 60, für 70?

Nein, das wird dann Beethoven bleiben und immer tiefer.

 

Gibt es Komponisten, um die Sie einen Bogen machen, die Sie nicht mögen?

Ja, Liszt, absolut keinen Ton! Vielleicht bin ich ein schrecklicher Snob, aber ich möchte nur die grösste und beste Musik spielen, auch wenn ich weiss, dass die Musik viel grösser ist, als ich sie spielen kann. Aber das ist eine Herausforderung und dafür lohnt es sich zu leben. Es lohnt sich nicht, Stücke zu spielen, die man besser spielen kann als sie sind. Liszt ist ein exzellenter Komponist, der mich überhaupt nicht fasziniert. Ich mag das einfach nicht.

 

Was sich aus dem Erlebnis Ihrer Konzerte immer aufdrängt: Inwieweit lassen Sie Ihre Interpretation beeinflussen von den anderen Künsten und Künstlern einer Zeit? Beschäftigen Sie sich mit den Malern, mit den Dichtern etwa der Scarlatti-Zeit oder steht für Sie nur die Musik im Mittelpunkt?

Nein, im Gegenteil. So enzyklopädisch wie möglich. Für mich ist das ein Lernprozess, darum mache ich zyklische Projekte sehr oft. Nicht nur ein isoliertes Werk spielen und studieren, sondern alle die Schwesterwerke in der Gattung, da kommen die Werke von den Zeitgenossen, da kommt die ganze Literatur und Poesie und Philosophie, die bildenden Künste und dann auch die Geschichte: Was war in der Zeit in Europa, was hat sich abgespielt? Also das gehört bei mir sehr dazu.


Lesen Sie dazu gerne oder gehen Sie lieber in Museen?

Alles, ich lese sehr viel und leidenschaftlich. Ich gehe in Museen und sehr viel ins Theater und ins Kino. Fast meine gesamte sogenannte Freizeit ist mit diesen anderen Künsten beschäftigt und erfüllt.


Haben Sie auch noch Kontakt zu der ungarischen Musikszene, die von früher her existiert?

Es gibt sie natürlich noch, aber ich habe nicht sehr viel Kontakt. Ich spiele oft in Budapest, vor allem, weil meine Mutter dort wohnt, und sie freut sich sehr, wenn ich in Budapest spiele. Auch freue ich mich auf das wunderbare Publikum. Ich versuche dem Nachwuchs zu folgen in der Hochschule. Ich bin schon in Kontakt, aber nicht so intensiv wie früher, als ich dort lebte. Eher zur Literaturszene. Ich habe sehr gute Freunde und wir haben wunderbare Schriftsteller wie Imre Kertész, Péter Esterházy, Péter Nádas. Das ist für mich momentan viel interessanter.

 

Nun liegt Ungarn direkt neben Österreich. Nachdem Sie ausser in Salzburg in Österreich derzeit nicht spielen: nehmen Sie es den Österreichern übel, dass sie Haider gewählt haben oder warum spielen Sie nicht mehr dort? Gibt es auch andere Länder, in denen Sie aus ähnlichen Gründen nicht spielen wollen?

Wie Sie richtig sagen, ich spiele ja in Salzburg. Da war die Stiftung Mozarteum bereit, von mir einen Text ins Programmheft zu nehmen, der nicht allein gegen die FPÖ und Haider war, sondern der sagt, dass wir uns diese Cappella als internationalen Klangkörper im Sinne Mozarts und gegen jegliche Xenophobie, Rassismus und Fremdenhass vorstellen. Ich habe die österreichische Staatsbürgerschaft in den 80iger Jahren von der sozialistischen Regierung bekommen. Ich war sehr dankbar, das hat mir sehr viel geholfen, damals noch mit einem ungarischen Pass und Visum. Aber diese Haider-Geschichte, das habe ich sehr übel genommen. Ich kann das nicht bagatellisieren. Ich stamme aus einer jüdischen Familie und habe sehr viele Familienmitglieder in Auschwitz verloren. Auch meine Mutter wurde deportiert. Aber ich lebe nicht von Ressentiments, sonst könnte ich nie wieder in Österreich oder in Deutschland spielen. Ich möchte klar und neu denken. Wenn so etwas wie Haider in irgendeinem Land passiert, das ist schon schlimm genug, aber in einem Land wie Österreich ist das doppelt so schlimm, und das sehen viele Österreicher nicht ein. Wir wissen, sehr viel wurde nach dem Krieg von diesen Sachen unter den Teppich gekehrt. Ich möchte einfach ein Zeichen geben, das ist jetzt geschehen. Ich suche jetzt auch wieder die Kontakte aufzunehmen und bin bereit zu spielen. Ich werde Benefizkonzerte spielen in Wien für verschiedene Zwecke, und wenn die Wiener Konzerthäuser - Musikverein und Konzerthaus - soweit sind, dass sie wieder mit mir das Gespräch aufnehmen..., ich bin heute noch der Meinung, dass es richtig war und dass man den Haider nicht bagatellisieren darf. Was er sagt und was er vertritt, diese präpotente Sprache, ich finde sie sehr, sehr gefährlich. Wenn man aus dem 3. Reich eine Lektion gelernt hat, dann eben die, wie man sich in den schlimmsten Zeiten verhalten muss. Heute sind noch keine schlimmsten Zeiten, aber es könnte sie mal geben und wir müssen uns fragen, wie würden wir in so einer Situation reagieren.


Ich habe gelesen, dass solche Festspiele, wie das hier in Neumarkt oder in Ittingen die reinste Erholung für Sie seien. Wenn Sie auf die Bühne kommen, sind Sie ein Wunder an Ruhe. Gibt es bei András Schiff auch Nervosität und Stress?

Ich möchte Ruhe ausstrahlen, aber das täuscht. Ich bin natürlich nervös, wie jeder Mensch. Ein Konzert ist ein Fest, welches wir mit dem Publikum teilen. Ich möchte dem Publikum etwas schenken und mitteilen. Ich bin nervös, ob das, was ich kann, in dem Moment rauskommt. Es gibt keine Garantie, wir sind keine Maschinen; man hat bessere und schlechtere Tage. Dadurch, dass ich ziemlich regelmässig auf dem Podium erscheine, das reduziert diese Nervosität. Wenn das sehr selten wäre, dann wäre diese Nervosität unglaublich schlimm. Aber ich mache momentan noch 80 oder 90 Konzerte und dann brauche ich auch Entspannung.

 

Wo finden Sie diese Entspannung, zu Hause in Florenz?

Ich gehe nicht mehr sehr gerne auf Reisen; ... immer Schlange stehen, die Verspätungen, die Massenszenen - davon muss ich mich manchmal zurückhalten. Ich bin sehr, sehr gerne in Städten oder Ortschaften, die ich liebe. Ich habe meine Bibliothek in Florenz, dann die wunderbare Umgebung, die Kombination von Natur und Kunst und Geschichte. Es ist nicht ein Nichtstun, es ist Studieren.

 

Suchen Sie in kleineren Orten, in denen Sie auftreten, auch die Nähe zu den Menschen denen Sie da begegnen: in Vicenza, in Neumarkt, früher am Mondsee?

Ich habe eine Vorliebe für kleine Orte. Ich finde erstens, kleine Orte sind ruhiger, da ist mehr Natur drin, und ich finde, dass die Menschen aus den Grossstädten, sie können ruhig mal ein bisschen pilgern. Es ist auch eine Konzertgemeinde geworden, besonders durch die Mondseetage. Und da ich das nicht mehr mache, merke ich, dass sehr viele Freunde aus aller Welt dann mit mir weiter gereist sind.

 

Und unter den vier Standorten - Mondsee, Ittingen, Vicenza - wo liegen da die Besonderheiten von Neumarkt?

Als erstes habe ich besondere Freunde mit der lieben Familie Pfleiderer, und der Saal ist phantastisch. Der Saal ist ganz einmalig schön; ich kenne in der Welt wenige solche Säle, und er eignet sich für schönes, natürliches Musizieren. Ein guter Konzertsaal ist für mich das Wichtigste. Dann erst kann man von der Natur, von der Infrastruktur, von allem anderen sprechen. Aber Vicenza, das Teatro Olimpico, ist für mich das schönste Theater der Welt.

 

Da Sie in Vicenza und bei uns auch als Dirigent auftreten, drängt sich die Frage auf: Wo sind die Dirigenten, unter denen Sie gerne spielen?

Ich spiele liebend gern mit Bernard Haitink. Er ist ein besonders feiner Musiker und so ein bescheidener, so ein wunderbarer Mensch. Aber dann muss ich schon sehr nachdenken. Als Sándor Végh starb, da dachte ich zuerst, mein Gott, ich kann nie mehr Mozartkonzerte spielen, die Erinnerung ist zu schön, ich will das nicht beschmutzen. Ich habe früher sehr viel Mozart gespielt mit anderen Dirigenten und das war meistens sehr, sehr unbefriedigend. Und so habe ich dann wirklich entdeckt, dass ich das eigentlich auch alleine machen kann. Zuerst die Bachkonzerte, dann die Mozartkonzerte. Jetzt auch schon die Beethovenkonzerte und sogar schon das Schumannkonzert. Aber damit ist die Grenze erreicht, schon ein Brahmskonzert kann ich nicht mehr dirigieren. Auch mit Kurt Sanderling habe ich sehr gerne gespielt, aber der dirigiert nicht mehr. Giulini dirigiert auch nicht mehr. Die sogenannten Stardirigenten, bei allem Respekt und Bewunderung, mit denen komme ich nicht zurecht, darum habe ich Haitink so besonders gern.

 

Sie sind eine der grossen Gallionsfiguren der klassischen, der romantischen, der barocken Musik natürlich. Wo sehen Sie aus Ihrer Sicht andere wirklich wichtige Leute für die klassische Musik?

Ich finde, die Integrität von Künstlerpersönlichkeiten wie Casals, wie Edwin Fischer, Arthur Schnabel, wie Cortot, wie Adolf Busch, gibt es heute nicht mehr. Es gibt enorm gute Instrumentalisten, auch Persönlichkeiten. Aber ich betrachte die ganze Entwicklung der Medien, der Gesellschaft mit grosser Skepsis und Bedauern. Wir sollen die Musik für die Massen, für die Jugend, verständlich machen, ja, ich unterschreibe dies, aber nicht eine verdünnte, verbilligte, vulgarisierte klassische Musik: dass wir Arrangements machen müssen von Liedern von den Rolling Stones. Nach dem Motto: jetzt machen wir etwas für die Rettung der klassischen Musik! Die klassische Musik braucht diese Rettung nicht, aber wir brauchen Erziehung und Edukation und neues Publikum und Jugend auf dem höchsten Niveau.

 

Ihr Qualitätsanspruch dokumentiert sich auch dadurch, dass Sie mit vielen Flügeln reisen und viele Flügel besitzen. Werden Sie nach Neumarkt zu dem Festival Ihren Flügel mitbringen oder spielen Sie auf dem Steinway-Fabbrini, den Sie selbst mit ausgesucht haben?

Ich habe ihn ja ausgesucht für meine Freunde. Natürlich, ich werde diesen Flügel spielen. Ja, ich reise sehr viel mit meinen eigenen Flügeln. Meine Feinde würden sagen, er kann sich das leisten, er verdient so viel, aber das stimmt gar nicht. Auch wenn ich ziemlich gut verdiene, ich gebe wirklich die Hälfte für diese Flügel aus. Es ist verdammt teuer und sehr riskant, aber ich mache das einfach wegen der Musik und der Qualität. Ein Pianist reist herum und spielt auf dem Instrument, das er gerade findet und das ist manchmal gut, manchmal mittelmässig und manchmal miserabel. Da habe ich eines Tages gesagt: basta, ich will nicht mehr so viele Kompromisse hören, das muss nicht sein. Ein Geiger fährt auch mit seinem Instrument und das ist ja dann auch empfindlich mit dem Wetter und muss zum Geigenbauer. Der Pleyel-Flügel für die Chopin-Wiedergabe, das ist nicht mein Eigentum, der gehört Fabbrini, aber das ist ein wunderbares Instrument, eben spezifisch für Chopin. Schon Mendelssohn oder Schumann würde ich darauf nicht spielen. Ob ich jetzt einen Steinway mitnehme oder einen Bösendorfer: eben je nach Komponisten, je nach dem Repertoire, ich möchte damit die Ohren des Publikums ein bisschen öffnen. Das Publikum ist heute sehr faul geworden, denn überall hört man einen sterilen, generellen Steinway-Klang.


Um sich das konkret vorzustellen, Herr Schiff: Haben Sie die Flügel bei sich zu Hause und werden diese dann von dort abtransportiert, oder stehen die bei Fabbrini? Sagen Sie: Bitte, ich will jetzt den Flügel spielen, schickt mir den nach London?

So ist das. Bei Fabbrini stehen zwei meiner eigenen Flügel, auch mein Bösendorfer und dann zwei Steinway, die für mich reserviert sind, und dieser Pleyel. Je nach Konzert sagen wir, also für diese Konzerte jetzt den Steinway 533...

 

Was spielen Sie zu Hause?

Zu Hause sind auch mehrere Flügel, auch einer von Fabbrini, aber ich habe auch einen Bechstein-Flügel von 1901. Den bringe ich nicht auf die Reise, das ist mir zu riskant. In London habe ich einen wunderschönen Steinway von 1880, der Wilhelm Furtwängler gehörte, den habe ich in Lübeck gefunden. Auf die Frage nach grossen Vorbildern: Furtwängler gehört auch zu meinen ganz grossen Vorbildern als Musiker.


Wie sieht es aus mit dem Lehrer András Schiff? Unterrichten Sie Klavierschüler? Geben Sie Kurse?

Regelmässig unterrichte ich nicht, dazu ist keine Zeit. Eventuell mache ich Kurse. Jetzt hoffe ich, regelmässig die Kurse bei den Luzerner Festspielen zu machen, weil Horszowski und auch Edwin Fischer dort regelmässig unterrichtet haben. Es ist noch nicht an der Zeit für mich, regelmässig zu unterrichten, aber es interessiert mich deswegen, weil, wie ich sagte, das heutige Musikleben gefällt mir nicht. Anstatt zu jammern kann man etwas Konstruktives und Positives machen. Aber ich brauche eine Beziehung und einen Kontakt zum Nachwuchs und zu jungen Musikern.

 

Hat sich da aus Ihrer Sicht an den jungen Musikern etwas verändert?

Ja, und das ist nicht gut. Zu viele Leute spielen Klavier und das mechanisch. Végh hat sehr gut gesagt, man muss unterscheiden zwischen Technik und Mechanik. Mechanik ist Treffsicherheit, Schnelligkeit, Kraft, physische Kraft, aber Technik ist etwas viel Feineres. Das braucht schon eine Klangvorstellung und die Verwirklichung einer Vorstellung. Ich finde, die heutigen Leute haben eine gute Mechanik und eine sehr schlechte Technik. Keine Farben, das ist wirklich wie ausgestorben: Anschlagkultur. Leute spielen dick und grob und brutal im grossen und ganzen. Wenn ich schon unterrichte, möchte ich besonders darauf achten.

 

Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie diesen Teil Ihrer Arbeit noch verstärken? Wenn Sie zwangsläufig älter werden, hätten Sie Lust das zu tun?

Ja, wenn ich älter bin, aber nicht unbedingt in einer Musikhochschule, weil ich bin allergisch auf Bürokratie. Aber ich habe ja auch in Kursen sehr viel gelernt.

 

Wie stellt sich ein András Schiff sein Alter mit 70 oder 80 vor?

Ja also, erstens, wir sind sehr glücklich, weil es in der Kunst und in der Musik keine Pensionierung gibt. Wenn wir von Unterrichten sprechen, ich finde es ein Paradox, dass man z.B. in einer deutschen Musikhochschule in dem Alter in Ruhestand gehen muss, wo man anfängt, etwas zu wissen. Aber ich werde eben vielleicht mehr unterrichten, ich möchte spielen, aber viel weniger, also mehr zu Hause sein. Ich möchte Musik machen und mehr Zeit haben, alle Bücher zu lesen, die ich lesen möchte.

 

Und nachdem es da ja noch lange hin hat: Was hat Neumarkt von Ihnen zu erwarten in nächster Zeit, nach dem Festival? Worauf können wir uns freuen?

Wir werden hoffentlich zyklisch die Beethoven-Sonaten hier machen. Und das ist ein Riesenprojekt für mich, nicht sehr originell, denn das machen ja viele Leute, aber für mich ist das so, dass ich das über drei Jahre verteile, also chronologisch. Ich spiele in 2004 zwei Programme, in 2005 drei Programme und in 2006 wieder drei.


Und jetzt noch ganz zum Schluss, Herr Schiff: Sie sind, wie andere Musiker auch, so freundlich, Neumarkt und den Reitstadel immer sehr zu loben. Dennoch fragen wir nun selbstkritisch, was gefällt Ihnen hier nicht? Was sollte Neumarkt, was sollte der Reitstadel noch verbessern?

Es gefällt mir wirklich alles. Aber ich muss sagen, dass man, wenn man Aufnahmen macht, immer wegen der Glocken aufhören muss. Aber das sage ich sehr vorsichtig. Wir sind alle Gäste hier, und man möchte die Kirche nicht beleidigen. Aber sie läuten, uuh!, sehr, sehr viel. Wenn ich gut gelaunt bin, dann stört mich das überhaupt nicht. Aber oft bei den Aufnahmen und es ist eine besonders gelungene Fassung, dann kann man das nicht nehmen, wegen den Glocken. Aber mein Gott, das ist eine so winzige Kleinigkeit. Ansonsten ist Neumarkt eine entzückende Stadt mit einer absolut wunderbaren Infrastruktur. Es ist eine wunderschöne, gepflegte und saubere Stadt, da muss ich den Politikern, auch dem Bürgermeister Komplimente machen. In meinem geliebten Florenz, ich ärgere mich schwarz und rot und blau, weil es so viel Dreck dort gibt und der stammt nicht von den Touristen. Die Florentiner und besonders die Jugend, die pflegen das nicht. Also eine Stadt, das ist unsere Stadt - wir müssen das gemeinsam pflegen. Für mich ist Sauberkeit wichtig.

 

Ist auch denkbar, dass ein András Schiff hier einmal einen "Figaro" oder "Cosi fan tutte" konzertant aufführt? Oder halten Sie das für unrealistisch?

Ich weiss nicht, das ist schon sehr kompliziert. Wir werden wohl mit Chor und so keinen Platz haben, ich glaube, das ist nicht praktisch. Wenn ich schon meine Opern mache, dann wirklich nur in Vicenza. Ich habe eine sehr schlimme Erfahrung gemacht mit "Cosi". Nach Vicenza, wo es ein Traum war, habe ich "Cosi", nicht mit der Cappella, aber mit derselben Besetzung nach Edinburgh zum Festival gebracht und das war wirklich so eine Antiklimax, weil mir fehlte dieses Theater. Wir waren in einem Theater, da war ein schwarzer Vorhang und nicht wie in Vicenza das Bühnenbild von Palladio. Und das ist so einmalig, da hat man die ganze Geschichte der europäischen Kunst. Wenn Sie "Figaro" hören möchten, dann müssen Sie nach Vicenza kommen.

 

Herr Schiff, ganz herzlichen Dank.

 

Uwe Mitsching, geb. 1944 in Dessau; Schulzeit in Nürnberg; Ab 1963 Studium an der Universität und Musikhochschule in Würzburg; Ab 1970 im bayerischen Schuldienst: 1976 - 1995 Seminarlehrer, Tätigkeit in der Schulleitung; seit 1995 Oberstudiendirektor und Seminarvorstand am Adam-Kraft-Gymnasium in Schwabach Freier Feuilleton-Mitarbeiter verschiedener Zeitungen in Bayern.